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Ernst-Thälmann-Denkmal in Roitzsch

Das Denkmal befindet sich in der geschützten Parkanlage, vor dem Haus am Park.

"Was ein Stein erzählte"  Eine Erzählung von Erich Krause ( 1921 - 2019)

Ineinem Steinbruch von Quetzdölsdorf oder Landsberg, ich weiß es nicht mehr genau, wurde ich im Jahre 1885 vom großen Berg abgesprengt. Von Menschenhand hat man mich mit Hammer und Meißel, in einer Größe von 2,70 m Höhe, einer Breite von 1,10 m und einer Dicke von 28 cm behauen.

Eines Tages erschien ein Pferdewagen. Die Arbeiter vom Steinbruch kamen mit Balken und Seilen und ich wurde aufgeladen. Es gab noch keinen Kran. Die Männer mussten Schwerstarbeit leisten, denn ich wog ungefähr 2000 kg.

Mit dem pferdwagen ging die Fahrt nach Roitzsch in einen Gutsgarten. Mein jetziger Besitzer war ein „Königlicher Ökonomierat". Unter großen Bäumen stellte man mich, 0,7 m in die Erde eingegraben, auf. Es war ein herrlicher Platz, auf dem ich nun stand. Nördlich von mir war eine große Apfelplantage die während der Blüte einen herrlichen Anblick bot. Westlich über dem Strengbach wurde eine Feldscheune gebaut. Vor dem Strengbach konnte ich das Leben und Treiben der herrschaftlichen Kinder im Nussgarten sehen. Unmittelbar vor mir war ein Karpfenteich. Lustig ging es zu, wenn im Spätherbst mit dem Netz die Karpfen gefischt wurden. Es kamen Handwerker, die setzten bei mir eine Platte ein. Einige Tage später standen Männer im Gehrock mit Zylinder und Frauen in festlichen Kleidern und großen Hüten vor mir. Es wurden Reden gehalten. Mit einem dreifachen Hurra auf unseren geliebten Kaiser und seinen Reichskanzler Fürst Bismarck, der auf der Platte abgebildet war, wurde ich das private Bismarck Denkmal vom Königlichen Ökonomierat und seiner Familie. Vor mir wurden vom Gutsgärtner zu jeder Jahreszeit frische Blumen gepflanzt. Kam herrschaftlicher Besuch, wurde ich gezeigt. Die Jahre vergingen und mein Königlicher Ökonomierat verstarb im Jahre 1910. Von seiner Familie wurde ich weiterhin geachtet und geehrt.

Plötzlich zog ein Unwetter auf. Die jungen Männer mussten in den Krieg. Es war sehr schrecklich. Aus unserer Gemeinde sind 121 Männer gefallen. Ihnen zu Ehren wurde im Vorraum der Kirche ein namentliches Denkmal gesetzt. Ich stand im Gutsgarten und wurde langsam vergessen. Im Winter war mir kalt. Nur der Efeu, der mich in den Jahren umwuchs, wärmte mich wieder auf.

Aus der ferne hörte ich Tag und Nacht das Geklapper der Bagger und das Hupen der Lokomotiven. Die Grube kam immer näher. Der Karpfenteich verlor das Wasser. Der Boden konnte es nicht mehr halten. Es war nur noch eine schmutzige Kloake.

Des Öfteren kamen Kinder in den Garten, standen vor mir und bestaunten mich. Sie nahmen den Efeu beiseite und betrachteten mit Ehrfurcht die Platte mit dem Kopf vom Fürsten Bismarck.

Eine neue Zeit brach an. Der Enkel vom königlichen Ökonomierat erinnerte sich an mich. Er war SA-Führer. Man holte mich aus dem Gutsgarten, der jetzt verwildert war und stellte mich auf das Dreieck zwischen Zscherndorfer- und Stöcklitzer Straße.

Handwerker kamen und wechselten die Platte. Eine rote Fahne mit Hakenkreuz deckte mich ab. Abends standen die Männer der Partei in ihren braunen Uniformen vor mir. Seitlich wurde ich eskortiert von SA-Kolonnen und der Hitlerjugend. Selbst die Pimpfe waren schon dabei. Alle hatten brennende Fackeln, es war taghell. Reden wurden gehalten vom Siegheil auf den Führer, danach wurde ich vom Fahnentuch befreit. Jetzt war ich der Horst-Wessel-Gedenkstein. Sein Lied wurde gesungen: ,,Die Fahne hoch". Die vielen Fackeln - das Feuer- blendeten mich und die Jahre vergingen. Am Himmel zogen tiefschwarze Wolken auf. Ein fürchterlicher Sturm brach los. Die Blitze zuckten, der Donner grollte. Es kam Feuer vom Himmel. Nicht nur die Männer, sondern auch Jünglinge wurden zum Kriegsdienst eingezogen.

Über die Menschheit kam Not, Elend und Vertreibung aus der angestammten Heimat.

Wieviel Männer aus Roitzsch diesmal in dem von Deutschland angefangenen, verbrecherischen Krieg gefallen sind, ist mir nicht bekannt.

Nach dieser schrecklichen Zeit wurde ich von der Last der Platte befreit, nun stand ich traurig und verlassen da.· Nach einigen Jahren besann man sich auf mich. Von meinem Platz auf dem Dreieck wurde ich wieder in den Park transportiert.

Wiederum kamen Handwerker und setzten eine neue Platte ein. Wie damals wurde ich mit einem Fahnentuch zugedeckt. Dieses Mal mit einem roten. Rechts und links von mir stand ein Mann in voller Kampfgruppenuniform Ehrenwache. Es waren die Leute der Staatspartei, der SED, vertreten. Auch die Blockparteien waren vollständig mit Abordnungen anwesend. Vertreter vom FDGB, den Vereinen, der FDJ und Schulklassen standen um mich herum. Wieder wurden prächtige Reden gehalten, vom Frieden und Fortschritt und vom ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden. Kränze und Blumen legte man nieder und alle sangen „Völker hört die Signale".

Nach dem das Fahnentuch abgenommen wurde, war ich der „Ernst-Thälmann-Gedenkstein".

Jedes Jahr brachten Abordnungen Blumen und Kränze. Plötzlich hörte es auf, und heute kümmert sich niemand mehr um mich. Von Tannen verdeckt werde ich kaum gesehen. Ich fühle mich wieder einsam und verlassen. Manchmal höre ich das Lachen der Kinder vom nahen Spielplatz. Im Stillen denke ich nach, was wird aus mir?

Einen Gedanken hatte ich, musste ihn aber wieder fallen lassen. Da war doch die Sache mit dem Ehrenwort.

Im Grundgesetz heißt es: Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde. So wahr mir Gott helfe".

Die Erfahrungen, die ich mit den einzelnen Systemen gemacht habe, sagen mir: Diese Demokratie ist stark. Wer sich nicht an das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes hält, den wirft sie vom Sockel. Im Volksmund heißt es: Die Zeit heilt alle Wunden. Mal sehen wie es mit mir weitergeht.

Tschüss ihr Stein